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ein paraphilosophisches Projekt nicht in der Zeit, aber -- an der Zeit |
Bernd A. Laska Karl Marx - ein lärmender QuietistEine Replik auf Fritz-Erik Hoevels: Stirner, Psychoanalyse und Marxismus - IIund postscriptum zu Bernd A. Laska: Max Stirner - ein Verächter der "Praxis" ? Die vorige Ausgabe dieser Zeitschrift, die Anfang Februar 2001 erschien und dem Thema »Max Stirner und die Psychoanalyse« gewidmet war, enthielt u.a. zwei zusammenhängende Artikel: 1) »Stirner, Psychoanalyse und Marxismus«, in dem Fritz-Erik Hoevels im wesentlichen seine Sicht sowohl Stirners als auch der Verhältnisse Marx/Stirner und -- wegen des sachlichen Kerns: der Funktion des "Über-Ichs" -- Freud/Reich darstellte, und 2) »Max Stirner - ein Verächter der "Praxis" ?«, in dem ich zwar Hoevels als "einen der ganz-ganz wenigen Autoren, die Stirners Kerngedanken, den ich provisorisch unter den Titel 'Die Negation des irrationalen Über-Ichs bei Stirner' gebracht habe, bewusst erfasst und öffentlich bejaht haben", würdigte, aber Hoevels' sonst geäusserte Vorstellungen als damit unverträglich, als in sich höchst widersprüchlich und "paradox" kritisiert habe. (1) Einige Wochen später erfuhr ich, dass Hoevels sein Buch über Wilhelm Reich, dessen Erscheinen zur Leipziger Buchmesse, also zum März 2001, er bereits mit einer kostspieligen Anzeigenkampagne sowohl in der überregionalen Tagespresse als auch in der Fachpresse angekündigt hatte, (2) vorerst zurückzog. Diese Nachricht liess in mir den Glauben an die Kraft des besseren Arguments, der durch die Erfahrungen vieler Jahre sehr geschwächt war, wieder erstarken, den Glauben daran, dass -- zumindest zwischen Menschen, die sich in dem Punkte einig sind, dass die Aufklärung keineswegs längst beendet, sondern seit Jahrzehnten paralysiert ist -- ein rationaler, die Reanimation der Aufklärung fördernder Disput möglich ist. Warum? Weil ich vermutete, dass Hoevels die von mir im genannten Artikel vorgetragenen Argumente gründlich geprüft und sich davon überzeugt hatte, dass seine bisherige Sicht des Verhältnisses Freud/Reich, wie sie im genannten Artikel, aber auch in der Ankündigung seines Buches (3) zum Ausdruck kam, grundverkehrt war; dass er also deshalb sein bereits fertiges Buch noch im letzten Moment zurückgezogen hat. Doch meine Hoffnung auf einen rationalen Disput und dessen klärende Wirkung war, ein weiteres Mal, vergebens. Denn als ich einige Wochen später die »Entgegnung« zu Gesicht bekam, die Hoevels auf meine Kritik geschrieben hat, (4) wurde ich gründlich ernüchtert. Hoevels vermag darin nur in geringem Masse auf meine Argumente einzugehen und bleibt dabei, dass Reich die Psychoanalyse Freuds wie viele andere "nur ein wenig verfeinert" hat; dass Marx ein "Elefant" und Stirner ein "Hirschkäfer" war, usw. Er macht zwar notgedrungen kleine Zugeständnisse (z.B.: Marx habe "phobisch" auf Stirner, Freud "schäbig" auf Reich reagiert), beharrt aber im wesentlichen auf seinem Standpunkt, dessen grundsätzliche innere Widersprüchlichkeit und "Paradoxie" ich dargelegt hatte. Hoevels beginnt, rhetorisch zunächst konziliant, indem er mir "Missverständnisse" zugute hält, die er -- von den vielen aber nur "die offenkundigsten" -- richtigstellen zu wollen vorgibt. Aber er findet, genau besehen, gar keine nennenswerten und produziert deshalb, wie in seinem ersten Artikel, bloss einen Wortschwall, der den Blick auf die Sachlage wieder defokussiert -- nachdem ich mit einigem Aufwand seinen ersten Artikel in eine strukturierte Form zu bringen hatte, bevor ich ihn kritisieren konnte. Ich kann in Hoevels' Entgegnung weder Klärung noch neue Argumente erkennen, sehe stattdessen einen Autor, der mit vielen Worten neue Verwirrung stiftet, um von alten Mängeln abzulenken, einen Autor, der sich wie ein weidwundes Tier noch einmal aufbäumt. Während Hoevels zu Anfang der »Entgegnung« den Eindruck erweckt, mir auf gleicher Höhe gegenübertreten zu wollen -- als einem gleich ihm "halbwegs aufgeklärten und gutartigen Menschen" -- treibt ihn die offenbare argumentative Not nach und nach in die krampfhafte Attitüde desjenigen, der verächtlich auf mich herabzublicken versucht: auf einen ziemlichen Einfaltspinsel ("sancta simplicitas !" entfährt es ihm einmal), der in der Hauptsache, der Frage der Praxis -- Hoevels nennt sie "versteckt", obwohl ich, nicht er, sie sogar in den Titel hob -- keine Farbe bekennt. In gequält larvierter Wut ("traurig !" entfährt es ihm zweimal) wirft er mir vor, eine "quietistisch-säkularbuddhistische" Haltung einzunehmen und angesichts seines neo-leninistischen Konzepts "hirnlos...wie das allerdümmste Studienrätchen" daherzuplappern und mit den "kleinsten Geistern und grössten Reaktionären" zu paktieren. Ich kann also keinen Anlass erkennen, meinen sachlichen Ausführungen aus dem vorigen Artikel etwas hinzuzufügen; denn das liefe auf blosse Wiederholung von bereits Gesagtem hinaus. Der von Hoevels erneut erhobene zentrale Vorwurf des Quietismus jedenfalls ist mir -- und vor allem Stirner -- gegenüber völlig fehl am Platze. Stirner war, wie ich in »Max Stirner - ein Verächter der "Praxis" ?« gezeigt habe, wahrlich kein praxisverachtender Quietist. Der eigentliche Quietist damals war vielmehr offensichtlich -- Karl Marx, und zwar, weil er zu der von Stirner öffentlich aufgeworfenen und von ihm, Marx, erstens hellwach wahrgenommenen und zweitens als für den Fortgang von "Aufklärung" als kardinal erkannten Problematik beharrlich schwieg -- und sie dann ein Leben lang durch hektische, auch wissenschaftliche, jedenfalls auf breite Publikumswirkung berechnete Schriftstellerei übertönte. Marx also war der wahre Quietist, nicht Stirner, allerdings ein sozusagen lärmender Quietist. Man könnte ihn, nach gründlicher Analyse seiner Reaktion auf Stirners »Einzigen«, zudem auch einen objektiven Obskurantisten nennen. Denn Marx hat Stirner bzw. Stirners Kernidee, obwohl er sie als Spitze aufklärerischen Denkens erkannte -- durch Schweigen und ablenkenden illusionären Aktivismus -- "verdrängt", zunächst im psychologischen Sinn (für sich) und bald darauf durch Erfindung des "Marxismus" auch im ideenhistorischen Sinn (für andere). (5) Aber es geht hier ja gar nicht um die passendste Bezeichnung für Marx oder Stirner; es geht überhaupt nicht um diese einstigen Protagonisten, also nicht etwa um eine Schuldzuweisung an Marx und ein Rehabilitierungsgesuch für Stirner. Es geht einzig und allein darum, jene historischen Vorgänge heuristisch fruchtbar zu machen für das -- für mein ! (6) -- Denken und Handeln ("Praxis") hier und heute. Hoevels sieht das, wie er sagt, auch so: wir sollten uns weniger für die "von den historischen Umständen nahegelegten Einschränkungen bedeutender Personen interessieren" und mehr für deren "eigentliche, auch von uns verwertbare Leistung." Nur sieht er nicht, dass Stirner resp. Reich den "Einschränkungen" nicht unterlagen, die sich bei ihren Zeitgenossen Marx resp. Freud in ihren Theorien und "phobischen" resp. "schäbigen" (etc.) Reaktionen bemerkbar machten. Hoevels' Position ist wahrlich "schizophren": inhaltlich, in der Kardinalfrage der "Negation des irrationalen Über-Ichs", stimmt er mit Stirner und Reich im Prinzip überein; zugleich bekennt er sich emphatisch ausgerechnet zu denen, die Stirner resp. Reich wegen genau dieser Frage als ihre intimsten Feinde ansahen und mit übelsten Mitteln bekämpften. Hoevels ist deshalb, leider, nicht imstande, aus den Konflikten Marx vs. Stirner und Freud vs. Reich eine Lehre für die heutige Situation zu ziehen. Anmerkungen:
(1) Der Einzige. Vierteljahresschrift des Max-Stirner-Archivs Leipzig. Heft Nr. 1/2 (13/14), 3. Februar 2001, S. 15-22 und 22-30
(2) Die ganzseitige Anzeige, die auf S.17 von »Der Einzige« (3. Februar 2001) abgedruckt ist, erschien z.B. auch in »Süddeutsche Zeitung« (Ausgabe zur Buchmesse 22.-26.3.2001) und in PSYCHE (Heft März 2001).
Fritz-Erik Hoevels: Wilhelm Reichs Beitrag zur Psychoanalyse. Erscheint im Frühjahr 2001.
(3) Hoevels kündigte das Buch mit den Worten an: "Wilhelm Reichs Werk war, bevor sein Geist sich im Exil zu verdunkeln begann, eine Konsequenz der klassischen Psychoanalyse, nicht etwa deren eigenmächtige Verformung; es folgte logisch aus demjenigen Freuds und war nur dessen Ausgestaltung und - teilweise - gesellschaftliche Anwendung."
(4) in diesem Heft, S. 23-31
(5) vgl. dazu meine Arbeiten:
(6) "Ich" hier als Blankettfigur für jedes Ich, für jeden Leser (m/w), der diese Gedankengänge nachzuvollziehen und für sich nutzbar zu machen in der Lage ist.
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