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Stirner-Studien


Die folgende Rezension erschien erstmals in:
eigentümlich frei. Marktplatz für Liberalismus, Anarchismus und Kapitalismus. Jg. 1, Nr. 3, 3. Quartal 1998, S. 98-99


"Ich hab' mein Sach' auf Nichts gestellt"

Drei Bücher zu Max Stirners Individualismus

Bernd A. Laska: EIN HEIMLICHER HIT - 48 S. - LSR-Verlag - ISBN 3-922058-61-2 - DM 10

Bernd A. Laska: EIN DAUERHAFTER DISSIDENT - 168 S. - LSR-Verlag - ISBN 3-922058-62-0 - DM 30

Bernd A. Laska: "KATECHON" und "ANARCH" - 112 S. - LSR-Verlag - ISBN 3-922058-63-9 - DM 20


Max Stirner und sein Hauptwerk »Der Einzige und sein Eigenthum«, (1) das im Jahre 1844 im Umkreis der Junghegelianer erschien, scheint bis heute nicht nur die Geister kontrovers zu bewegen, sondern auch generelle Probleme bei der geistigen Verdauung zu bereiten. Obgleich gemeinhin als spiritus Rector  des individuellen Anarchismus gefeiert, haben selbst Anarchisten grosse Probleme damit, ihn als einen ihrer Vorläufer zu akzeptieren oder auch nur den ernsthaften Versuch einer Rezeption zu unternehmen. Dies mag daran liegen, dass die Auffassung, Stirners philosophische Auffassungen vom Wert des Einzelnen seien letztendlich nur eine Verabsolutierung, die für eine wie auch immer geeignete Gemeinschaft keinen Raum mehr lassen würde und jeglichem kollektivistisch ausgerichteten "Mainstream-Anarchismus" widerspräche, immer noch weit verbreitet ist. Es kann auch daran liegen, dass Stirners über 300 Seiten starkes Buch selbst für belesene und in der Diktion seiner Zeit kundige Rezipienten nicht immer leicht zu verstehen ist, einige innere Ungereimtheiten enthält - Stirner hat seiner Ankündigung, seine Ideen näher ausarbeiten zu wollen, leider keine Taten folgen lassen - und schliesslich von den "grossen Geistern" jener Zeit hart kritisiert und als oft absurd bezeichnet wurde.

Bernd A. Laska hat es sich mit seinem LSR-Verlag, in dessen Publikationen er neben Max Stirner (S) auch Julien Offray de La Mettrie (L) und Wilhelm Reich (R) untersuchen möchte, zur Aufgabe gemacht, Licht in das mitunter schon verschwörerisch anmutende Dunkel um Max Stirner und sein Werk zu bringen.

Dementsprechend sind die ersten drei Bände seiner Stirner-Studien auch weniger auf den »Einzigen« selbst gerichtet als vielmehr auf die Editions- und Wirkungsgeschichte. Band 1 »Ein heimlicher Hit«, eine dünne Broschüre von 48 Seiten, rollt die Editionsgeschichte übersichtlich auf und kommentiert die Motivationen der verschiedenen Herausgeber von Stirners Werk und deren Versuche, sie für ihre eigenen politisch-philosophischen Ansichten zu instrumentalisieren. Laska kommt zu der Erkenntnis, dass bisher alle bedeutenden Herausgeber von Stirners Werk seine Gegner waren und sein Buch nur deswegen publizierten, um seine Ansichten zum Kampf gegen Kritiker von Nietzsche oder Marx einzusetzen. Laska macht nach dem Erscheinen des »Einzigen« noch zwei Stirner-Renaissancen aus: Eine Anfang des Jahrhunderts und eine seit den späten 60er Jahren, die immer noch andauere.

Im zweiten Band, »Ein dauerhafter Dissident«, befasst sich Laska übersichtsartig mit der Wirkungsgeschichte. Dabei geht er von den Reaktionen der Junghegelianer um Feuerbach aus, in deren Dunstkreis der »Einzige« erstmals erschien, und entwickelt die Wirkung des Buches weiter über Marx, der seinen "Anti-Stirner" bis zu seinem Tode aus wohlerwogenen Gründen nicht veröffentlichte, bis hin zu Denkern wie Nietzsche, Schmitt und Schriftstellern wie Ernst Jünger. Den beiden letzteren widmet er in Band 3 »'Katechon' und 'Anarch'« einen eigenen Band seiner Studien, wobei er Jünger aber nur kursorisch abhandelt und sich auf Schmitt konzentriert. Laska erkennt dabei verschiedene Formen der Verarbeitung Stirnerscher Ideen und unterscheidet zwischen jenen, die ihn verleugnen und verdrängen und jenen, die ihn, aus ganz unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Attitüden verehren. Zu denen, die ihn verdrängen, gehören Marx, Schmitt und Nietzsche, zu denen, die ihn verehren, sein Biograph Mackay sowie, wenngleich inhaltlich nicht unproblematisch, in spätem Lebensalter Ernst Jünger. Besonders interessant wird die Studie, wenn Laska sich über die verschiedenen Formen der Verdrängung äussert. Er differenziert hier zwischen einer "Primärverdrängung" bedeutender Denker selbst, die bewusst oder unbewusst die Auseinandersetzung mit Stirner scheuen, wohl wissend, dass die radikalen und grundlegenden Ideen dieses Mannes ihre eigenen Denkgebäude angreifen könnten, und einer "Sekundärverdrängung" der Schüler und Gefolgsleute der Primärverdränger, die bei der Rezeption ihrer Meister den oft leicht nachweisbaren Einfluss Stirners völlig ignorieren oder als skurrile Eigenart und Randnote abtun. Dies wird noch interessanter, wenn der Autor selbst Opfer einer solchen Verdrängung wird, die er im dritten Band dokumentiert, (vgl. a. "Tertiärverdrängung") als er versucht hat, Artikel über das Verhältnis von Carl Schmitt und Stirner in linksanarchistischen Theoriezeitschriften unterzubringen und dabei auf ernsthafte Schwierigkeiten traf. In jedem Falle ist Laskas detektivische Kleinarbeit zu bewundern, mit der er den Spuren Stirners bei anderen Denkern folgt und diese nachzuweisen sucht. Viele der im zweiten Band nur kursorisch abgehandelten Denker werden dementsprechend in weiteren Studien - wie bei Schmitt und Jünger bereits geschehen - im Detail beleuchtet.

Laskas Credo ist die Auffassung, dass kaum einer seiner [Stirners] Rezipienten - weder jene, die ihn kritisierten und ablehnten, noch jene, die ihn bewunderten und sich zu ihm bekannten - wirklich erkannt hatte, was Stirner in seinem Werk eigentlich aussagen wollte. Stirners Wirkungsgeschichte erscheint dem Leser demnach als eine Geschichte bewusster und unbewusster Missverständnisse und Verdrängungen, die zwar zur wiederholten Neuauflage des »Einzigen« und zu z.T. heftigen Stirner-Diskussionen, jedoch zu keiner ernsthaften Interpretation seines Anliegens geführt hätten. In allen Bänden schimmert hindurch, dass nun Laska selbst dieses Desiderat der Stirner-Rezeption in Angriff nehmen möchte, also er nunmehr derjenige sei, der den "Stein der Weisen" in Hinblick auf die "richtige" Auffassung über Stirner gefunden habe. Es gehört zu den spannenden Momenten dieser Studienreihe, nachdem man sich mit den (Fehl)rezeptionen und Problemen anderer auseinandergesetzt hat, auf die "Wahrheit" zu warten. Es bleibt in diesem Zusammenhang die Frage offen, ob Laska in seiner eigenen Interpretation die Untiefen des, wie er es nennt, "enthusiastisch Adorierten" umschiffen oder an ihnen auf Grund laufen wird. Ich bin mir nach der Lektüre der ersten drei Bände nicht in jedem Falle sicher, ob es ihm gelingen wird, die notwendige eigene, mitunter auch kritische Distanz zu seinem Untersuchungsobjekt zu wahren.

Ungeachtet solcher möglichen Probleme stellen die ersten drei Bände der Stirner-Studien nicht nur die Aufarbeitung eines hochinteressanten philosophisch-politischen Diskurses dar, sie sind bei aller mitunter nicht immer leicht verständlichen Abgehobenheit der Sprache nicht zuletzt ausserordentlich spannend. Laska versteht es kongenial, die wichtigsten Aspekte hervorzuheben, manchmal mit leichtem Sarkasmus zu kommentieren und dem Leser einen lebendigen Eindruck der Diskussion zu vermitteln. Die historische Darstellung hat einen starken Reiz und bringt einen Denker zum Vorschein, der trotz aller "Renaissance" in der breiteren politischen und philosophischen Öffentlichkeit weitgehend ignoriert oder als Fussnote der Geschichte behandelt wird. Allein schon aus diesem Grunde ist Laskas Streben lobenswert und zu unterstützen, unabhängig davon, ob man Stirner nun für einen Meta-Philosophen ersten Ranges oder nur einen kleinbürgerlichen Egomanen hält. Auf die folgenden Bände der Stirner-Studien darf man dementsprechend zurecht gespannt sein - nicht zuletzt auf die Bände, in denen uns der Autor seine Interpretation Stirners zu präsentieren gedenkt.

Anmerkung: (1) Zur Zeit noch bei Reclam lieferbar. Ein Band mit kleineren Veröffentlichungen Stirners unter dem Titel »Parerga, Kritiken, Repliken« ist ebenfalls im LSR-Verlag von Laska herausgegeben worden.

Dirk van den Boom


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